Der B2B-Einkaufsprozess hat sich verändert: so bleiben Sie nicht auf der Strecke
Der alte, lineare Beschaffungsprozess der B2B Kunden, wo der Vertrieb durchgängig involviert war, gehört der Vergangenheit an. Die Realität ist aber, dass viele Vertriebsorganisationen diese Tatsache noch nicht erkannt haben und agieren noch nach alten Mustern und Vertriebsmethoden, die sie in der noch nicht allzu entfernten Vergangenheit zum Erfolg geführt hatten. Oft werden diese Veränderungen nicht erkannt, und zwar aus einem einfachen Grund: der Vertrieb wird nicht mehr in demselben Ausmaß in den Einkaufsprozess der Kunden involviert, wie früher.
Der Vertrieb hat die Kontrolle über den Beschaffungsprozess der Kunden verloren
Früher war der Vertrieb vom Anfang an im Beschaffungsprozess involviert, hat den Kunden begleitet und hatte dadurch auch eine gewisse Kontrolle über den Prozess beim Kunden.

Heute finden 3 Viertel des Prozesses im Internet statt.
Der Vertrieb wird meistens nur noch in der Entscheidungsphase, wo die Lieferanten evaluiert und verglichen werden, involviert. Und auch diese verlagert sich teilweise in den digitalen Raum, wenn die Möglichkeit besteht, die Produkte online zu beziehen.
67% des Beschaffungsprozesses sind heute digital. (Sirius Decisions)

Laut Hubspot wollen 60% aller B2B Einkäufer vor dem Schritt im Einkaufsprozess - nämlich dem, in dem sie schon die Optionen evaluieren - nichts mit dem Vertrieb zu tun haben. Nur noch 19% der Einkäufer wären bereit, in der Bewusstseinsschaffensphase mit Verkäufern zu interagieren. So verliert der Vertrieb die Kontrolle über den Prozess.
Studien zufolge (Forbes, DemandGen B2B Buyers Survey) sind inzwischen ca. 70% des B2B Beschaffungsprozesses zum Zeitpunkt des Erstkontaktes mit dem Vertrieb schon abgeschlossen.
Die künftigen Kunden haben die Kontrolle über den Prozess übernommen und sind der Meinung, den Vertrieb in ihre Entscheidungsfindung nicht involvieren zu müssen. Sie haben ja genug Zugang zu Informationen und können selbst die Entscheidung treffen. Dies führt allerdings dazu, dass der Beschaffungsprozess auf der Kundenseite viel komplexer geworden ist.
Der Beschaffungsprozess ist wesentlich komplexer und länger
Es werden nun mehr Personen auf der Kundenseite involviert. Das typische Einkaufsgremium für eine komplexe B2B-Lösung besteht aus sechs bis zehn Entscheidungsträgern. Diese besitzen ihrerseits jeweils unterschiedliche Informationen, die sie unabhängig voneinander gesammelt haben und diese innerhalb der Gruppe abgleichen müssen. Gleichzeitig wird die Palette an verfügbaren Optionen und Lösungen durch neue Technologien, Lieferanten, Produkte und Dienstleistungen erweitert und erzeugt noch mehr Komplexität.
Diese Dynamik macht es den Kunden immer schwerer, Einkaufsentscheidungen zu treffen. Obwohl sie sich ja besser informiert und "im Thema gebildet" fühlen. Laut Gartner bezeichnen mehr als 3 Viertel der B2B Kunden ihren Einkaufsprozess als sehr komplex oder schwierig. Dies führt im Endeffekt dazu, dass der Beschaffungsprozess mehr Zeit in Anspruch nimmt und intern komplizierter wird.
Der heutige Einkaufsprozess dauert um 22% länger als noch vor fünf Jahren. (Biznologie)
58% der B2B Einkäufer sagen, dass sich die Dauer ihres Beschaffungsprozesses erhöht hat. (Business2Community)
Kunden brauchen Unterstützung im Kaufprozess
Vertriebsorganisationen müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass nicht nur sie Schwierigkeiten haben, zu verkaufen. Es ist auf der Kundenseite viel schwieriger geworden, zu kaufen. Auch wenn Kunden selbst der Meinung sind, sie kommen allein zurecht und brauchen den Vertrieb nicht, in der Tat suchen sie aber nach Unterstützung im Entscheidungsprozess.
Die Betonung liegt hier auf „Unterstützung“ und nicht auf „Verkauf“. Darin liegt der große Unterschied. Wenn der Kunde erkennt, dass der Vertrieb im Kundensinn agiert und nicht versucht, ihm etwas „anzudrehen“, dann wird er den Vertrieb freiwillig in seinen Beschaffungsprozess auch enger einbeziehen.
So muss sich der Fokus im Vertrieb verlagern: vom reinen Verkaufsansatz zum beratenden Ansatz. Indem man den Kunden dabei unterstützt, die für ihn richtige Einkaufsentscheidung zu treffen.
Auch wenn es im schlimmsten Fall bedeutet, dass man dem Kunden von dem Kauf des eigenen Produktes abraten muss. Dies wird nämlich den größten Unterschied ausmachen und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Geschäft führen. Vielleicht nicht jetzt und vielleicht in einer anderen Form (Weiterempfehlung, andere Lösungen, etc.). Aber diese Vertrauensposition braucht der Vertrieb heute mehr denn je, um rechtzeitig Zugang zum Beschaffungsprozess des Kunden zu bekommen.
Kunden vermeiden aktiv den Vertrieb
Der Einkaufsprozess findet heute anonym und im Verborgenen statt. Die alte Schule des Marketings und Vertriebs, indem man, um "Kontakte" in Leads zu konvertieren, massenweise E-Mail- oder Tele-Kampagnen aufsetzte, hat im Endeffekt dazu geführt, dass Interessenten in ein anonymes Käuferprofil getrieben wurden. Heute sind schätzungsweise 70-80% des Beschaffungsprozesses des Kunden anonym.

Solange der Kunde sich über mögliche Lösungen informiert, will er mit dem Vertrieb wenig oder meist gar nichts zu tun haben. In dieser Phase vermeidet der Kunde aktiv jeden Kontakt zum Vertrieb, ob persönlich, telefonisch oder digital: Lead-Formulare, E-Mails und Aufrufe zur Kontaktaufnahme. Solange er sich über mögliche Lösungen informiert, will er mit dem Vertrieb nichts zu tun haben.
60% der B2B Kunden sind nicht bereit, mit einem Verkäufer zu sprechen, solange sie nicht ihre eigenen Recherchen abgeschlossen haben. (Hubspot)
59 % der B2B Einkäufer ziehen Online-Recherchen einer Interaktion mit dem Vertrieb vor, weil Sie fürchten, dass der Vertriebsmitarbeiter seine Ziele verfolgt, anstatt ihnen helfen zu wollen. (Forrester)
Die Recherchephase entwickelt sich zu der wichtigsten Phase im Beschaffungsprozess der B2B Kunden. Und je komplexer das Produkt desto wichtiger und auch länger die Recherchephase. Laut Gartner verbringt der typische Einkäufer heute insgesamt 45% seiner Zeit mit Recherche, ob online oder offline.

Dabei konsumiert er unterschiedliche Informationen in unterschiedlichen Formen und aus unterschiedlichen Quellen. Er liest Blogs, E-Books, Fachartikel. Er diskutiert auf den sozialen Medien. Er sieht sich Videos an und sitzt (vielleicht anonym) in Webinaren. Dabei ist er an relevanten Inhalten, wie Use-Cases und Anwendererfahrungen interessiert und zieht unabhängige Berichte Dritter vor.
65% der B2B-Einkäufer wurden durch Online-Inhalte beeinflusst. Dazu gehören Websites, Blogs, Videos und E-Books. (LinkedIn Research)
Relevante Informationen generieren Geschäft
In diesem ganzen Rechercheprozess schätzen Einkäufer diejenigen Lieferanten, die ihnen diese Navigation in ihrem Beschaffungsprozess erleichtern. Tatsächlich ergab eine Studie von Gartner, dass wenn Kunden hilfreiche Informationen von den Lieferanten erhalten, die sie in ihrem Einkaufsprozess weiterbringen, mit 2,8-facher Wahrscheinlichkeit ein hohes Maß an Kauferleichterung erfahren und dreimal häufiger ein größeres Geschäft mit weniger Bedauern abschließen.
So müssen sich Anbieter, um in diesem neuen B2B-Einkaufsumfeld zu gewinnen, darauf konzentrieren, ihren Kunden die Informationen zu liefern, die sie bei der Erfüllung ihrer Bedürfnisse im Einkaufsprozess unterstützen, anstatt nur Werbung für die eigenen Produkte zu machen.
Es ist eine unbestrittene und von Studien belegte Tatsache, dass der Beschaffungsprozess der Kunden sich in den wenigen letzten Jahren stark verändert hat. Der Prozess ist länger, komplexer und digitaler geworden und findet vom Vertrieb unabhängiger statt.

Neue Aufgaben im B2B Beschaffungsprozess
Zusätzlich haben sich auch die Rollen und die Aufgaben im Beschaffungsprozess der Kunden verändert. Gartner hat 6 „Einkaufsjobs“ im B2B Einkaufsprozess identifiziert, die erledigt werden müssen, um eine Einkaufsentscheidung erfolgreich zu treffen:
Identifizierung des Problems / Bedarfs: Wir müssen etwas tun?
Suche nach Lösungen: Was gibt es da draußen, um unser Problem zu lösen?
Erfassung der Anforderungen: Was genau soll mit dieser Beschaffung erreicht werden?
Auswahl der Lieferanten: Wer von denen erfüllt unsere Anforderungen?
Validierung: Wir glauben, die richtige Antwort zu kennen, aber wir müssen sicher sein.
Einigung: Wir müssen alle an Bord holen.

All diese Aufgaben erhöhen in ihrer Gesamtheit die Komplexität des Beschaffungsprozesses.
77% der B2B Einkäufer bewerten ihre Erfahrungen im Einkaufsprozess als extrem komplex oder schwierig. Gartner Sales Research
Der B2B Einkaufsprozess ist nicht linear
Der B2B Beschaffungsprozess ist nicht mehr linear, so wie es früher der Fall war. Die einzelnen Schritte im Prozess spielen sich nicht mehr in einer vorhersehbaren, linearen Reihenfolge ab. Stattdessen drehen Kunden in einem typischen Einkaufsprozess eine Art "Schleife", wobei sie jede dieser sechs Aufgaben mindestens einmal durchlaufen müssen.
Dabei werden diese Aufgaben nicht unmittelbar nacheinander, sondern mehr oder weniger gleichzeitig erledigt. So ist es schwierig, diesen Prozessfluss darzustellen.

Was bedeutet das für den Vertrieb?
Das Wichtigste, was Vertriebsorganisationen machen müssen, ist es, den Einkaufsprozess für ihre Kunden zu vereinfachen und Vertriebsmitarbeiter zu befähigen, Kunden bei Ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen. Dabei geht es um die Bildung von echtem Mehrwert für den Kunden.
Vertriebsmitarbeiter müssen sogenannte Business Enabler Kompetenzen entwickeln. Dabei geht es um die Fähigkeit, die Möglichkeiten des eigenen Unternehmens mit den Geschäftszielen der Kunden zu verbinden.
Vertriebsmitarbeiter müssen einerseits mit relevanten und notwendigen Informationen ausgestattet werden und andererseits trainiert werden, Kunden in ihren Beschaffungsprozessen zu unterstützen.
RAIN Group hat in einer Studie die TOP 10 Kriterien festgestellt, die in einer typischen B2B Beschaffung den Auftragsgewinner vom Zweitplatzierten unterscheidet. Dabei haben sie Einkäufer befragt und den Unterschied nur zwischen den letzten zwei Anbietern im Rennen evaluiert. Wenn man diese Kriterien betrachtet, dann widerspiegeln sie alle die Unterstützung des Kunden bei ihrer Entscheidungsfindung. Und dabei geht es weder um Preis, noch um die Produktqualität oder Dienstleistungen, wie man annehmen könnte.

Im Grunde sind es die Business Enabler Kompetenzen, die den Unterschied ausmachen. Vertriebsorganisationen müssen diese Kompetenzen bei ihren Vertriebsmitarbeitern entwickeln, um sich von ihren Wettbewerbern zu unterscheiden.
Dazu sind tief greifende Vertriebstrainings notwendig und keine oberflächlichen Verkaufsseminare.
Parallel dazu müssen für Kunden relevante Informationen generiert werden, die einerseits dem Vertrieb und andererseits auch den Kunden während ihrer anonymen Recherchephase zur Verfügung gestellt werden. Darunter finden sich:
ROI Rechner
Ratgeber
Diagnosetools
Self-Audits
Quick-Checks
Benchmarks
Studien
Austauschplattformen
Use-Cases
Simulatoren
Empfehlungen
Anleitungen und How-To Ratgeber
Expertenmeinungen
Business Cases Vorlagen
Vertriebsorganisationen, die dieses Knowhow aufbauen und ihren Kunden zur Verfügung stellen und dabei kompetente Vertriebsmitarbeiter entwickeln, die die Auswirkungen ihrer Lösungen auf das Geschäft ihrer Kunden tatsächlich verstehen, werden einen eindeutig leichteren Zugang zu dem neuen Beschaffungsprozess ihrer Kunden bekommen. Und in weiterer, logischer Folge die Wahrscheinlichkeit, das Geschäft und den Kunden auch zu gewinnen, wesentlich erhöhen.
Originalartikel: https://www.wissence.at/post/der-neue-b2b-beschaffungsprozess
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